
Im nächsten Schritt geht es darum, das richtige Organisationsmodell zu finden. Grundsätzlich ist keines der Modelle besser oder schlechter. Jedes beinhaltet eigene Chancen, Herausforderungen und Risiken. Soll Eure WG nach dem Vorbild einer bestehenden WG funktionieren, ist damit möglicherweise auch ein bestimmtes Organisationsmodell verbunden. Es kann aber auch ein anderes Modell aufgrund der Rahmenbedingungen sinnvoller sein.
Modell 1: Zusammenschluss mit einem bestehenden Leistungsanbieter

Findet Ihr in Schritt 2 einen Leistungsanbieter, der Eurem Vorhaben offen gegenübersteht, bietet es sich an, die WG gemeinsam mit diesem zu realisieren. Wichtig ist dabei, dass die Vorstellungen beider Seiten geklärt sind und der Leistungsanbieter allen der in Schritt 1 beschriebenen Kernelemente einer inklusiven WG zustimmt. Auf Grundlage des Anspruchs auf Eingliederungshilfe der behinderten WG-Mitglieder schließt der Leistungsanbieter dann eine Leistungs- und Vergütungsvereinbarung mit dem Kostenträger und einen Betreuungsvertrag mit den behinderten WG-Mitgliedern.
Der Leistungsanbieter stellt die Fachkräfte an und schließt Vereinbarungen mit den WG-Mitgliedern ohne Behinderung ab, die sich (je nach WG-Konzept) um die Assistenz und Betreuung der behinderten WG-Mitglieder kümmern.
Häufig tritt der Leistungsanbieter als Hauptmieter der Wohnung auf, sodass zwischen den WG-Mitgliedern und dem Leistungsanbieter zudem Mietverträge geschlossen werden.
Chancen: Ein bestehender Leistungsträger kann dem Projekt mit seinen Strukturen, seinen reichhaltigen Erfahrungen und seinem etablierten Netzwerk große Sicherheit geben. Es ist für Euch mit Sicherheit das am wenigsten arbeitsintensivste Modell.
Herausforderungen: Tritt der Leistungsanbieter als Hauptmieter auf, sollte geprüft werden ob es zu Schwierigkeiten in der Anwendbarkeit der gültigen landesrechtlichen so genannten Heimgesetze gibt. Falls das Heimgesetz zur Anwendung kommt, müssen hohe Auflagen erfüllt werden. Manche Leistungsanbieter haben zudem Vorbehalte gegenüber inklusiven WGs, meist wegen der Rolle der WG-Mitglieder ohne Behinderung. Gerne unterstützen wir Euch dabei, ihnen diese zu nehmen.
Risiken: Es ist bereits vorgekommen, dass die Leistungsanbieter im Verlauf das Wohnprojekt vereinnahmt haben und nach ihren Vorstellungen, z.B. in eine reine Wohngruppe für behinderte Menschen, umgestaltet haben. Ihr solltet deshalb auf jeden Fall, eine gute Regelungen bezüglich Euer dauerhaften Mitsprache festhalten.
Beispielprojekt für dieses Modell: Gemeinsam Leben Lernen e.V.
Modell 2: Gründung eines eigenen Leistungsanbieters

Dieses Modell funktioniert analog zum ersten Modell, nur dass Ihr den Leistungsanbieter (z.B. in Form eines Vereins) selbst gründet. Es hat sich gezeigt, dass Wohnprojekte nach diesem Modell häufig erst dann richtig in Schwung kommen, wenn nicht alle im Verein ehrenamtlich arbeiten, sondern zumindest eine Person mit einer angemessenen Stundenzahl als Geschäftsführung des Vereins angestellt ist.
Chancen: Ihr könnt Euer WG-Konzept so umsetzen wie Ihr es für richtig haltet. Die WG bleibt in Eurer Kontrolle. Wenn Ihr die Ambitionen habt, mehrere WGs zu gründen, bietet sich dieses Modell in jedem Fall an.
Herausforderungen: Die Gründung des Vereins bedarf eines gewissen Aufwands und juristischen Wissens. Häufig finden sich Juristen, die soziale Projekte kostenfrei unterstützen (z.B. über
Proboneo oder
UPJ). Die gesamte Organisation und Verantwortung liegt in Euren Händen. Häufig haben es neue Leistungsanbieter in den Verhandlungen mit dem Kostenträger schwerer als etablierte. Gerne bringen wir Euch mit erfahrenen WG-Gründer*innen in Kontakt, die Euch bei den Verhandlungen unterstützen können.
Risiken: Wird der Verein v.a. durch Angehörige (z.B. Eltern) der behinderten WG-Mitglieder getragen, stehen diese in einem gewissen Machtverhältnis. In diesem Fall muss besonders darauf Acht gegeben werden, dass für alle WG-Mitglieder ein selbstbestimmtes Leben möglich ist.
Beispielprojekt für dieses Modell: Inklusive WG Bremen e.V.
Modell 3: Das Arbeitgebermodell

Mit dem Arbeitgebermodell des persönlichen Budgets funktioniert eine inklusive WG auch ohne Leistungsanbieter. Die behinderten WG-Mitglieder schließen direkt mit dem Kostenträger eine Budgetvereinbarung. Das Budget kann der behinderte Mensch selbstständig dazu nutzen, seine Mitbewohner*innen und/oder externe Fachkräfte als Assistenz anzustellen. Manchmal wird dennoch ein Verein gegründet, der als Hauptmieter auftritt. Bei der Beantragung eines Persönlichen Budgets kann Euch
Assistenz.de weiterhelfen.
Chancen: Man ist weder abhängig von einem bestehenden Leistungsanbieter, noch muss man einen eigenen Leistungsanbieter gründen.
Herausforderungen: Die komplette Organisation der Unterstützung und die Verwaltung des Budgets liegen in den Händen des behinderten Menschen selbst. Fällt zum Beispiel eine Assistenz krankheitsbedingt aus, muss er oder sie selbst einen Ersatz organisieren. Zudem muss das persönliche Budget meist häufiger mit dem Kostenträger verhandelt werden (jährlich) als die Eingliederungshilfe (alle 2 Jahre). Für die Lohnbuchhaltung kann beim Kostenträger eine Budgetassistenz beantragt werden.
Risiken: Wird das Budget durch die gesetzlichen Betreuer*innen (z.B. die Eltern) verwaltet, muss wie in Modell 2 besonders darauf Acht gegeben werden, dass für alle WG-Mitglieder ein selbstbestimmtes Leben möglich ist. Wir empfehlen stattdessen die Budgetverwaltung in externe Hände zu geben.
Beispielprojekte für dieses Modell:
Modell 4: Beauftragung eines Leistungsanbieters

Wer das persönliche Budget beantragen will, aber den Aufwand als Arbeitgeber vermeiden will, kann damit auch einen Leistungsanbieter beauftragen. Wie in Modell 3 verhandelt die behinderte Person (ggf. mit gesetzliche*r Betreuer*in) das Budget direkt mit dem Kostenträger (das sogenannte „Bedarfsfeststellungsverfahren“).
Üblicherweise will der Kostenträger für die Budgetverhandlung schon einige Kostenvoranschläge von möglichen Leistungsanbietern sehen. Dann wird verglichen, wie sich die Preise unterscheiden und im Sinne des Wunsch und Wahlrechts hat man die Möglichkeit seinen favorisierten Leistungsanbieter zu wählen.
Wenn das Persönliche Budget fest steht und der Leistungsanbieter für die Assistenz und / oder Pflege gewählt wurde, wird ein Assistenzvertrag zwischen der/dem Bewohner*in mit Behinderung (oder der gesetzlichen Vertretung) sowie dem Leistungsanbieter geschlossen. In diesem werden alle Rechte und Pflichten festgehalten.
Chancen: In der Regel hat der behinderte Mensch die Möglichkeit bei der Auswahl der WG-Mitarbeiter*innen mitzubestimmen. Außerdem kann geregelt werden, dass für einige Assistenzzeiten noch andere Assistent*innen (z.B. die Mitbewohner*innen ohne Behinderung) als Honorarkräfte oder im Rahmen der Ehrenamtsvergütung tätig sind.
Herausforderungen: Der behinderte Mensch bzw. dessen gesetzliche Vertretung ist für alle Kommunikation mit dem Kostenträger zuständig. Er muss sich (meist jährlich) um die Weiterbewilligung des persönlichen Budgets kümmern und eventuelle Kostensatzverhandlungen führen.
Risiken: Wenn es sich beim favorisierten Leistungsanbieter um den teuersten handelt, kann es sein, dass nur der „marktübliche“ Preis gezahlt wird. So kann die Leistung nur in einem geringeren Maß in Anspruch genommen werden oder man muss zuzahlen.
Bestehende Wohnprojekte nach diesem Modell: